St. Petronella

Etwa um 1330 wurde das Figurenpaar von Petrus und Maria zu einer Trias erweitert. Am inneren Mittelpfeiler des Portals kam, gleichfalls vor gemaltem Ehrentuch, eine weibliche Heilige zur Aufstellung, die in der ?lteren Forschung als Katharina galt, sich jedoch zweifelsfrei als Petronella identifizieren lie?.1

Im Stil dieser Figur zeigt sich eine neue Bildhauergruppe, die über mehrere Jahre am Dom t?tig war und deren künstlerische Heimat in Wien zu suchen ist. Ihre einpr?gsamste stilistische Eigenart sind die auffallend kompakten, plastisch etwas überproportionierten Gesichtsformen. Besonders bemerkenswert ist die hl. Petronella aber aus anderen Gründen. Fest steht, dass die Portalwand um diese Zeit gerade emporwuchs, dass für den Mittelpfeiler der Doppelpforte eine viel kleinere Figur gedacht war und der Treppengiebel der Galerie darüber niedriger verlaufen sollte. Die Entscheidung für die Petronellafigur hatte tiefgreifende Umplanungen zur Folge. Eine ursprüngliche Ma?werkgliederung der Wandzone über dem Portal wurde verworfen und die Standortsituation insgesamt aufgestockt. Dementsprechend erh?hte sich der Treppengiebel, und die mit Rücksicht auf den markanten Seitenschwung der Figur oben bewusst angelegte Asymmetrie wurde von unten her durch raffinierte linksseitige Stufenaufdoppellungen kaschiert.2

Diese Ma?nahmen lassen umso mehr nach der Bedeutung dieser Petronellafigur fragen. St. Petronella war eine r?mische Katakombenheilige, die aufgrund der Namens?hnlichkeit durch Legendenbildung im Frühmittelalter zur Tochter Petri avancierte und deren Gebeine im 8. Jahrhundert in die Petronella-Rotunde am Südquerhaus von Alt St. Peter, in enger Nachbarschaft zum Petrusgrab, überführt wurden. Diese legend?re Tochter-Vaterbeziehung lie? Petronella zur Symbolfigur für eine besonders enge, gewisserma?en famili?re Verbundenheit mit der r?mischen Kirche werden. Im K?nigtum Frankreichs, das sich als ?lteste Tochter der r?mischen Kirche verstand, wurde Petronella aus eben diesem Grunde zur Nationalheiligen.3 Auch in Regensburg steht Petronella vielleicht nicht ohne politischen Hintergrund an ihrem Platz. Bischof Nikolaus (1313 –1340) hatte sich in einem schwelenden Machtkampf zwischen dem Papst und Kaiser Ludwig dem Bayern eindeutig auf die Seite des Papstes gestellt. M?glicherweise war also die Aufstellung der hl. Petronella zusammen mit Maria und St. Petrus als Papst am damaligen Hauptportal des Domes, noch dazu im Südquerhausbereich, ?hnlich der Petronella-Rotunde in Alt St. Peter in Rom, wiederum eine ?ffentliche Manifestation der Romtreue Regensburgs. Die Petronellafigur blieb bis heute an ihrem ursprünglichen Platz.


  1. Das entscheidende Indiz sind die verbliebenen Reststücke eines Spruchbandes mit den Anfangsbuchstaben ?S. P E …“, die unzweifelhaft zur Erstfassung geh?ren.Auch das andere Ende des Spruchbandes ist als Fragment erhalten, so dass sich die Anzahl der verlorenen Buchstaben verl?sslich rekonstruieren lie?. Schlie?lich fanden sich auch ein Quellennachweis dafür, dass es im Mittelalter im Regensburger Dom einen Petronella-Altar und eine rege Verehrung dieser für unsere Region v?llig untypischen Heiligen gegeben hat.
  2. Zu diesem Ergebnis kamen sowohl die Bauforschung als auch die restauratorische Untersuchung des Figurenstandorts.
  3. Frankreich hatte im Investiturstreit zwischen dem deutschem Kaiser und dem Papst auf der Seite des Papstes gestanden und überdies sp?ter mehrmals dem r?mischen Papst Asylschutz gew?hrt. In einem Schreiben des Papstes Gregor IX. von 1259 ist diese Sonderrolle Frankreichs konkret zum Ausdruck gebracht: ?Ebenso wie einst der Stamm Juda mit dem Segen von oben eine Ausnahmestellung unter den S?hnen des Patriarchen Jakob erhielt, so ist das K?nigreich Frankreich über alle V?lker erhaben, bekr?nt von der Hand Gottes selbst mit au?erordentlichen Gnaden und Sonderrechten“, zit. nach Kimpel/Suckale (1985), 71.