Gastvortrag Jaime Cárdenas Isasi (Universit?t G?ttingen)

?Blo? ein Tropfen rotes Anilin? Al-Andalus in der spanischen Erinnerungskultur?

Bamberger Vortr?ge zu Iberian Studies

Bamberg, am Montag, 14. Dezember 2015.

Am Montag, den 14. Dezember 2015, lud die Professur für Romanische Literaturwissenschaft mit Schwerpunkt Hispanistik zu einem Gastvortrag mit dem Thema ?Blo? ein Tropfen rotes Anilin? Al-Andalus in der spanischen Erinnerungskultur?, der sich in das Programm der Vorlesung ?Iberische Erinnerungskulturen? einfügte, ein. Zum Vortrag des Historikers und Literaturwissenschaftlers Jaime Cárdenas Isasi (G?ttingen), der in deutscher Sprache stattfand, fanden sich zahlreiche Studierende wie Dozierende sein.

Anhand zahlreicher Textauszüge aus spanisch-, englisch- und franz?sischsprachiger Literatur führte der Gastredner das Publikum durch den Abend des 14. Dezember und erl?uterte die Bedeutung, die Al-Andalus, also das Maurenreich im südlichen Teil der Iberischen Halbinsel, das von 711 und dem Fall Granadas 1492 bestand, in der Erinnerungskultur Spaniens im Laufe der Zeit (vorwiegend im 20. Jahrhundert) einnahm und auch gegenw?rtig einnimmt.

Zun?chst sprach Cárdenas Isasi einführend darüber, dass bei jedweder Auseinandersetzung mit der maurischen Vergangenheit Spaniens drei konstante Elemente pr?sent seien und auch stets gewesen seien: Einerseits werde die maurische Eroberung stark dramatisiert und überzeichnet, was meist in deren Bezeichnung als ?nationale Katastrophe? gipfele. Zudem werde Spaniens Zugeh?rigkeit zur westlichen Welt – in scharfer Abgrenzung zum Orient – meist dezidiert betont. Drittens sei der starke Gegenwartsbezug der meisten Ausführungen zu erw?hnen. Die Wissenschaftler besch?ftigten sich also, so Cárdenas Isasi, meist damit, welche Rolle die maurische Eroberung für die iberische Gegenwart gespielt habe bzw. spiele. Dabei fügte er an, dass so unz?hlige nationalgeschichtliche Narrative entstanden seien, da jede Deutung der Vergangenheit gleichzeitig ein kulturelles Artefakt narrativer Natur sei. Die erw?hnte Bin?ropposition Orient ó Okzident benannte er hierbei mit Nachdruck als Grundmuster all dieser Narrative. Hinzu fügte er jedoch, dass etwa ab den 1890er Jahren die maurische Vergangenheit bereits in Ans?tzen über ihre Entorientalisierung in die spanische Nationalgeschichte eingegliedert worden sei, worauf ihre Reorientalisierung in den 1970er Jahren gefolgt habe. Nach wie vor greife man folglich seitdem auf die Dichtomie westliche Welt ó Orient zurück.

Weiter fuhr der Gastredner über den Gelehrtenstreit Mitte des 20. Jahrhunderts zwischen Américo Castro und Claudio Sánchez-Albornoz zur Rolle der islamischen Vergangenheit Spaniens fort. Diese h?tten vollkommen unterschiedliche Auffassungen von der maurischen Pr?gung der spanischen Gegenwart gehabt, was sich jedoch nicht nur auf diesen Faktor beschr?nkte, sondern vielmehr die gesamte Identit?tsbildung des gegenw?rtigen Spaniens in Frage stellte. Für Castro sei die Koexistenz und Eintracht dreier ?Kasten? (Christen, Juden, Muslime) durchaus ein zentrales Element dieser Identit?tsbildung. Der semitische Einfluss sei konstitutiv für eine spanische Identit?t, was sich auch bis heute vor allem durch die Pr?gung von Sprache, Literatur und Kultur durch hebr?ische und arabische Einflüsse ausmachen lasse. Sánchez-Albornoz kritisierte dies scharf und sprach sich gegen eine semitische Pr?gung, sondern vielmehr für die Herausbildung der spanischen Kultur im Kampf gegen den ?Erzfeind? und in konsequenter Abgrenzung zu ihm aus. Beide haben jedoch, so reflektierte Cárdenas Isasi, denselben Ausgangspunkt für die Entstehung der spanischen Identit?t und den spnaischen ?Sonderweg?, n?mlich die Arabisierung der Iberischen Halbinsel, gemeinsam gehabt, wenngleich sie sich diesem Faktum auch von unterschiedlichen Positionen aus gen?hert h?tten. Stets stand jedoch auch hier die Opposition Ost ó West im Vordergrund.

Der Gastredner Cárdenas Isasi widmete sich anschlie?end den Entwicklungen bis in die 70er Jahre. Erneut zeigte er anhand des Beispiels von Sánchez-Albornoz die beiden gegens?tzlichen Str?mungen auf, die sich in der dieser Zeit in den Reflektionen über die Bedeutung der maurischen Vergangenheit herausgebildet haben. Sánchez-Albornoz habe die Mauren zwar als ?Fremdk?rper? in der spanischen Kultur gesehen, jedoch auch die Hispanisierung dieser Vergangenheit befürwortet. Er versuchte also, diese zun?chst gegens?tzlich wirkenden Narrative beide gleichzeitig zu vertreten, die Cárdenas Isasi jedoch als durchaus ?kompatibel?, sogar fast ?symbiotisch? bezeichnete. Dieses Beispiel zeigt deutlich die Spannungen der Auseinandersetzungen mit der Thematik: Man befand sich in einem Spannungsfeld zwischen Exklusion und Inklusion der maurischen Kultur. Einerseits sah man die ?Reconquista?, also die Vertreibung der Araber, sozusagen als Schmiede der spanischen Identit?t an. Das narrative Schema Paradies à Fall à Erl?sung wurde auf die westgotische Monarchie, die arabische ?Invasion? und den Befreiungskampf bzw. die folgende ?Wieder-Eroberung? angewendet. Cárdenas Isasi kritisierte diese Tendenz jedoch dahingehend, dass diesem Raster die Fehlvorstellung zugrunde gelegen habe, dass bereits von der maurische Eroberung eine spanische Nation mit einheitlicher Identit?t bestanden habe, welche vollst?ndig inkompatibel mit der maurischen Identit?t gewesen sei. Der Gastredner kategorisierte diese Vorgehensweise klar als ?Schwarz-Wei?-Denken?, das keineswegs der damaligen Realit?t und Lebenswelt auf der Iberischen Halbinsel entsprochen habe. Darauf folgte die besagte Hispanisierung von Al-Andalus und damit dessen Aufwertung. Vorreiter sei hierbei bereits im 18. Jahrhundert José Antonio Condes These gewesen, dass sich die Lebensbedingungen auf der Iberischen Halbinsel nach der arabischen Eroberung 711 deutlich verbessert h?tten. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahmen sich die Arabisten, allerdings unter der Pr?misse, dass die arabische Bev?lkerung Spaniens stark hispanisiert gewesen sei, dieser Vorstellungen an. So konnten beide Vorstellungen, also die der Mauren als ?Fremdk?rper? und deren Aufnahme in das spanische Nationalnarrativ letztlich vereint werden. Das daraus resultierende Narrativ des ?islam espa?ol? bzw. des ?Espa?a musulmana? sei gem?? Cárdenas Isasi stark mit einem gesamteurop?ischen imperialistischen Diskurs verflochten gewesen.

Diese Vorstellung ?nderte sich erst nach der Transición: Man sprach nun nicht mehr von islamischen Spanien, es etablierte sich im Zuge der bereits genannten Reorientalisierung der Vergangenheit vielmehr die Bezeichnung Al-Andalus. Hierbei sei noch erw?hnt, dass Al-Andalus dabei als Ganzes rezipiert und aufgewertet wurde, es wurde also nicht nur ein Fokus auf einzelne Glanzpunkte der islamischen Kultur auf der Iberischen Halbinsel gelegt. Al-Andalus wird heute durch die durchaus fruchtbare convivencia mehrerer Kulturen und Religionen als Vorg?nger für ein globalisiertes und multinationales Spanien gesehen. Diese positive Rezeption des Zusammenlebens fand auch Aufnahme in den Diskurs der Aktualit?t, wie beispielsweise Barack Obamas Rede an die islamische Welt (im englischen Original A New Beginning) vom 4. Juni 2009 in Kairo beweist, in der er die Situation der Kulturen auf der Iberischen Halbinsel w?hrend der maurischen Herrschaft als gl?nzendes Vorbild für ein ideales heutiges Miteinander verschiedener Kulturen, Religionen und Weltanschauungen heranzieht.

Trotz dieser durchaus positiven Tendenzen seit den 1970ern resümierte Cárdenas Isasi die Situation abschlie?end nüchtern: die Erinnerung an Al-Andalus werde, so der Gastredner, in den n?chsten Jahren vermutlich weiterhin ein stark umstrittenes Thema bleiben. In Anbetracht neuester Entwicklungen habe sich der Akzent bei der Besch?ftigung mit der Thematik von der Betrachtung von Ethnizit?t auf die Religion verschoben. Letztlich existiere jedoch weiterhin die gleiche Episteme wie in der Vergangenheit – es sei weiterhin die Opposition Okzident ó Orient in der Auseinandersetzung mit Al-Andalus omnipr?sent. Abschlie?end stellte er provokativ die Frage ?Kann Al-Andalus überhaupt anders gedacht werden?? in den Raum.

Dem Vortrag von Jaime Cárdenas Isasi schlo? sich eine angeregte Diskussionsrunde mit dem Publikum an, bei der unter anderem Fragen nach der heutigen Inszenierung des Orients der Tourismusbranche besonders in Andalusien oder nach den Betrachtungsweisen und der Auseinandersetzung der Thematik in Regionen wie Katalonien er?rtert wurden.

(von Florian Lützelberger, Dezember 2015)