Projekt: Auswirkungen der Sperrzeit in Bayern

 

Projektbeschreibung

Erzielt das Instrument der Sperrzeiterweiterung auf kommunaler Ebene in Bayern die politisch gewünschte Wirkung?

Projektbeteiligte

Falko Tesch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung der Technischen Universit?t Dresden

Lukas Hohendorf, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Empirische Politikwissenschaft der Otto-Friedrich-Universit?t Bamberg

Publikationen

Tesch, Falko und Hohendorf, Lukas (2018): Do Changes in Bar Opening Hours Influence Violence in the Night? Evidence from 13 Bavarian Towns. Journal of Drug Issues 48(2). https://doi.org/10.1177/0022042617753146

Hohendorf, Lukas und Tesch, Falko (2018): Staatlich verordnete Nachtruhe. Wirkung von Sperrstunden. Katapult 10. https://katapult-magazin.de/de/artikel/artikel/fulltext/staatlich-verordnete-nachtruhe/

188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网- und Rundfunkbeitr?ge

Fr?nkischer Tag 26.04.2018 - Von Zapfenstreich und Randale

Süddeutsche Zeitung 27.05.2018 - Sperrstunde macht Orte nicht sicherer

Nürnberger Nachrichten 28.05.2018 - Studie: Erweiterte Sperrzeiten reduzieren Gewalttaten nicht

Augsburger Allgemeine 28.05.2018 - Studie: N?chtliche Sperrstunde hat kaum Einfluss auf Kriminalit?t in Bayern

Radiointerview Bayerischer Rundfunk 28.05.2018 - Wieso die Sperrstunde bayerische St?dte gef?hrlicher macht

Theoretisches

Ziel der Erweiterung der Sperrstunde ist die Reduzierung von n?chtlichen St?rungen der ?ffentlichen Ordnung. Hinter der Ma?nahme steht die Annahme der Availability Theory, dass durch die Reduktion der Verfügbarkeit von Alkohol auch die alkoholbedingten Straftaten sinken werden (vgl. Single 1988). Dem gegenüber steht die Situational Crime Prevention Theory nach Clarke (1983). Diese besagt, dass durch das gleichzeitige Verlassen einer gro?en Zahl von Personen von Clubs und Kneipen zur Sperrzeit mehr Gelegenheiten für Konflikte zwischen den Besucherinnen und Besuchern zu Stande kommen als bei einem stetigen Abfluss.

Hintergrund

Im Jahr 2005 wurde die Frage einer n?chtlichen Sperrzeit für Gastronomiebetriebe teilweise von der Landes- auf die Gemeindeebene übertragen. Von jetzt an konnten die Stadt- und Gemeinder?te selbst entscheiden, ob sie zus?tzlich zur landesrechtlich vorgeschriebenen ?Putzstunde“ zwischen 5 und 6 Uhr die Sperrzeit erweitern oder nicht. Seit 2006 haben dies einige St?dte getan, darunter Regensburg, Erlangen, Fürth und Bamberg.

In einer 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网mitteilung aus dem Jahr 2013 teilte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann mit, dass die St?rungen der ?ffentlichen Ordnung in St?dten, die wieder eine Sperrzeitregelung eingeführt haben, zurückgegangen seien. Gleichzeitig forderte er die anderen Gemeinden auf, ebenfalls eine Sperrzeitverl?ngerung einzuführen (Bayerische Staatsregierung 2013).

Anders hatte das allerdings beispielsweise der Bamberger Polizeichef Udo Skrzypczak bei einer Evaluationsveranstaltung im Jahr 2012 gesehen: Die Verl?ngerung der Sperrzeit habe in Bamberg nicht zu einer Reduzierung der Polizeieins?tze geführt. Dennoch stellte er nicht die Wirksamkeit des Instruments an sich in Frage, sondern schloss daraus, dass die Einschr?nkungen schlichtweg nicht restriktiv genug seien, um das erwünschte Resultat zu erzielen (Fr?nkischer Tag Bamberg 2012, S. 13). Die Folge der Evaluationsveranstaltung war dann eine Empfehlung der Polizeiführung an den Stadtrat, die Ausnahmegenehmigungen zur Sperrzeitregelung deutlich zu reduzieren. In Folge des Beschlusses wurden die Kriterien in Bamberg derart versch?rft, dass es ab 2013 für Kulturschaffende und Gastronomen quasi unm?glich wurde, eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten.

Zwei unterschiedliche Beobachtungen – n?mlich einmal gesunkene Deliktzahlen (Innenminister) und einmal gestiegene Polizeibelastung (Polizeichef) – führen also zum gleichen Schluss: ?Je strikter die Sperrzeit desto weniger Straftaten‘. Diese einfache Sie entspricht der Availability Theory und widerspricht damit der Situational Crime Prevention Theory. Früheren Untersuchungen aus der internationalen vergleichenden Forschung zu diesem Thema hatten die simple Formel bereits zurückgewiesen zurückgewiesen. Allerdings weisen viele der früheren Studien jedoch methodische M?ngel auf. So wurde bis auf wenige Ausnahmen nicht für generelle Zeittrends und das Gewaltniveau am Tag kontrolliert, wenn die interessierende Variable ?n?chtliche Gewalt‘ darstellte. Au?erdem gab es bisher keine systematische Studie zur Auswirkung der Sperrzeitverl?ngerung in Deutschland und somit auch nicht in Bayern.

Fragestellung und Untersuchungsaufbau

Aus den soeben genannten Gründen sollen die Auswirkungen der erweiterten Sperrzeit in Bayern über 12 Jahre (2002-2013) in 13 St?dten untersucht werden. Von 2002 bis zur Gesetzes?nderung 2005 galt zun?chst in allen St?dten die erweiterte Sperrzeitregelung. Ab der Liberalisierung 2005 dann nur noch in den St?dten, deren Stadtrat sich explizit für eine Erweiterung der gesetzlich vorgeschriebenen Sperrstunde entschieden hatte. Das Setting eignet sich also sehr gut für eine vergleichende Untersuchung. Für eine Messung des n?chtlichen Gewaltniveaus werden K?rperverletzungen pro 1000 Einwohner zwischen 2 und 6 Uhr herangezogen, da sich die erlassenen Erweiterungen alle auf diesen Zeitraum beziehen.

Ergebnisse

Wie in der Publikation “Do Changes in Bar Opening Hours Influence Violence in the Night? Evidence from 13 Bavarian Towns“ im Journal of Drug Issues, die aus dem Forschungsprojekt hervorging, genauer beschrieben, greift die Formel ?Je strikter die Sperrzeit desto weniger Straftaten‘ eindeutig zu kurz.  Dies best?tigt die Ergebnisse vieler vorheriger Studien. Die Ergebnisse zeigen vielmehr, dass es keinen klaren Effekt der Sperrzeitverl?ngerung auf die Anzahl der Delikte gibt. In St?dten, die generell ein niedriges Gewaltpotential aufweisen, konnte die Sperrstunde zwar die erwünschten Effekte erzielen. Gibt es in einer Stadt aber ohnehin schon eine relativ hohe Quote von K?rperverletzungen, wird dieser Trend durch die verl?ngerte Sperrzeit sogar verschlimmert.

Studien aus anderen L?ndern haben gezeigt, dass andere Ma?nahmen effektiver bei der Reduzierung von n?chtlichen Straftaten, insbesondere K?rperverletzungen und Ruhest?rung sein k?nnen. Neben strengeren Kontrollen von Auflagen zum Ausschank an bereits stark alkoholisierte G?ste zeigten auch gezielte Schulungen für Bar- und Club-Angestellteim Umgang mit aggressiven und st?renden G?sten einen positiven Einfluss. K?rperverletzungen durch Fremdeinwirkung sind jedoch nur ein Teil der mit Alkohol assoziierten Gefahren. Durch Begrenzung der ?ffnungszeiten, die Reduzierung der Zahl von Lokalen und Nachclubs oder eine hohe Preisdifferenz zu Supermarktpreisen besteht die Gefahr, dass sich der Konsum an weniger gut überwachte Orte verlagert. Im Hinblick auf das Selbstsch?digungspotenzial von Alkohol ist dies eine fatale Entwicklung.

Quellen

Bayerische Staatsregierung (2013): Sperrzeitverl?ngerungen in bayerischen Kommunen. 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网mitteilung vom 11. April 2013. Online verfügbar unter: http://www.bayern.de/sperrzeitverlaengerungen-in-bayerischen-kommunen/ (zuletzt geprüft am 23.10.2017)
Fr?nkischer Tag Bamberg (2012). “Wollen nur ein paar Stunden Schlaf“. Ausgabe vom 25.05.2012, S. 13. Online verfügbar unter: http://www.infranken.de/regional/bamberg/Wir-wollen-nur-ein-paar-Stunden-Schlaf;art212,286305 (zuletzt geprüft am 23.10.2017)
Clarke, R. V. (1983): Situational crime prevention: Its theoretical basis and practical scope. Crime and Justice, 4, S. 225-256.

Single, E. W. (1988): The availability theory of alcohol-related problems. In C. D. Chaudron & D. A. Wilkinson (Hg.), Theories on alcoholism (S. 325-351). Toronto, Ontario, Canada: Addiction Research Foundation.