DFG-Projekt: Menschwerdung Gottes im Zeitalter der Globalisierung
Kurzbeschreibung
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gef?rderte Projekt mit einer Laufzeit von vier Jahren hat zum Ziel, die Bedeutung der christologisch zentralen Aussage der Menschwerdung in einem strukturalen Rahmen zu reformulieren und ihr erl?sendes Potenzial an Fragen sozialer wie globaler Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Ausbeutung zu erproben. Forschungsgegenstand ist die spezifisch lateinamerikanische Marx-Rezeption des Theologen und Philosophen Enrique Dussel. Mit ihrer Hilfe soll die befreiungstheologische ?Option für die Armen? zu einer Theologie von Menschwerdung ausgebaut werden, die ihre inhaltliche Konkretion im Kontext der weltweiten Vorherrschaft kapitalistischer ?konomisierung gewinnt.
Beschreibung
Problemaufriss
Christologische Entwürfe artikulieren mehrheitlich historisierende und individualisierende Aspekte g?ttlicher Inkarnation und g?ttlichen Heils. Auf der Basis einer derartigen Schwerpunktsetzung beschreiben solche Entwürfe zentrale Momente christlicher Anthropologie und Soteriologie. Die Relevanz des christlichen Evangeliums für gesellschaftspr?gende sozio?konomische Wirklichkeiten der Gegenwart – Ausbeutung und Unterdrückung, wie sie besonders in L?ndern der sog. ?Dritten Welt? ausgepr?gt sind – machen sie, wenn überhaupt, nur am Rande zum Thema. Individualistisch orientierte christliche Vorstellungen von Menschwerdung und gott-menschlichem Heil k?nnen Sünde und Heil in einem subjektorientierten Rahmen theologisch qualifizieren, blenden dabei aber strukturell und systemisch lebensverneinende Zusammenh?nge aus. Die Theologie der Befreiung erkennt in diesem Befund ein strukturelles Problem: Für sie besitzt die klassische Soziallehre der katholischen Kirche kein ad?quates Analyseinstrumentarium, mit dem diese Ausbeutungs- und Unterdrückungsverh?ltnisse überhaupt wahrgenommen und theologisch angemessen reflektiert werden k?nnen.
Theologie der Befreiung und Marx’sche Methode
Um ein entsprechend strukturales Format für Theologie entwickeln zu k?nnen, rezipiert und rekonstruiert die Befreiungstheologie die historisch-materialistische Methode der Marx’schen Kritik der politischen ?konomie. Sie erhebt dabei den Anspruch, dass ihre theologische Anwendung der Marx’schen ?konomiekritik die ideologischen Konsequenzen einer marxistisch-kommunistischen Weltanschauung vermeidet.
Enrique Dussels Marx-Rezeption
Vor diesem Hintergrund versucht auch der argentinisch-mexikanische Befreiungsphilosoph und -theologe Enrique Dussel, die Marx’sche Theorie als Ethik der Befreiung dezidiert über die Thesen von Marx hinaus zu verallgemeinern. Er ist der Meinung, mit der Marx’schen Kategorie der ?lebendigen Arbeit? die Realit?t des Armen und Unterdrückten (die Lévinas’sche ?Exteriorit?t?), die vom Standpunkt des Kapitals aus durchg?ngig negiert wird, pr?zise analysieren zu k?nnen. Die spezifisch theologisch zu fassende Exteriorit?t des Armen wird bei ihm zum Ansatz der Kritik an den zerst?rerischen Mechanismen einer kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. ?ber Marx hinausgehend versucht Dussel, die Kapitalismuskritik methodologisch in einem positiven Entwurf gottgewollter Gesellschaftsordnung zu gründen. Dafür nimmt er die biblische Rede vom Reich Gottes in Anspruch, von der aus er die Befreiung aus Unterdrückung und Ausbeutung denken und praktisch bef?rdern will. ?Reich Gottes? fungiert bei Dussel als normativer Horizont der absoluten Exteriorit?t Gottes, deren basale Positivit?t mehr als eine blo?e Negation unhaltbarer Zust?nde leistet. Für die systematische Theologie bildet dieser produktive Umgang mit der biblischen Verhei?ung des Reiches Gottes einen fruchtbaren Neuansatz für die christologische Reflexion von Menschwerdung und Heil.
Rezeption der sozialwissenschaftlichen Dependenztheorie und Globalisierungskritik
Im Zuge der erw?hnten, über Marx hinausführenden Theoriebildung nimmt Dussel des Weiteren auf die sozialwissenschaftliche Dependenztheorie (strukturale sozio?konomische Abh?ngigkeit der ?Dritten? von der ?Ersten Welt? und nicht einfach ?Unterentwicklung? ersterer) Bezug, sodass er auf der Basis der Marx’schen Kritik nicht nur lokal-nationale, sondern auch globale Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen kritisieren und theologisch als ?sündhaft? qualifizieren kann.
Aufgabe und Ziel des Forschungsprojektes
Bisher ist das ?uvre Dussels haupts?chlich auf die philosophisch-ethische Komponenten seines Denkens hin befragt worden. Das Forschungsprojekt zielt nun darauf ab, gerade die gr??tenteils nur in spanischsprachigen Publikationen vorliegende Marx-Rezeption Dussels werkgenealogisch zu erschlie?en und davon ausgehend systematisch-theologisch die Bedeutung der Befreiungsphilosophie Dussels zu entfalten. Insbesondere soll Dussels Konzept eines ?sakramentalen Materialismus? für die Entwicklung eines strukturalen Formates in Christologie und Soteriologie fruchtbar gemacht werden. Ziel ist es, die in der christlichen Theologie von heute h?ufig nur abstrakt geleistete Thematisierung von Armut und Unterdrückung auf diese Weise material-geschichtlich zu konkretisieren und die Heilsverhei?ung des Glaubens an die Menschwerdung Gottes, die vorrangig den Armen die Rettung ihrer gesch?pflich-leibhaften Würde zuspricht, soteriologisch konziser zu fassen.
Konkretes Vorgehen
Konkret sollen dazu folgende Schritte bearbeitet werden:
- Zun?chst wird Dussels sog. ?Marx-Trilogie? (La Producción Teórica de Marx. Un Comentario a los Grundrisse (1985); Hacia un Marx desconocido. Un Comentario de los Manuscritos del 61–63 (1988); El último Marx (1863–1882) y la liberación latinoamericana. Un comentario a la tercera y a la cuarta redacción de ?El Capital? (1990)) systematisch erschlossen.
- Anschlie?end wird der Befund inhaltlich sowie methodologisch in den Gesamtkontext seines befreiungsphilosophischen sowie -theologischen Denkens eingeordnet. Dabei sollen v.a. (a) Dussels methodologischer Wandel hin zum analektischen Moment der positiven Dialektik, (b) die Identifikation der ?lebendigen Arbeit? (Marx) mit der Exteriorit?t (Lévinas), (c) eine christlich-befreiungstheologische Interpretation des historischen Materialismus als sakramentalem Materialismus sowie (d) die biblisch-theologischen Diskurse um ?Volk Gottes?, ?Reich Gottes? und ?Gericht? Berücksichtigung finden.
- Schlie?lich soll auf der Basis dieser Ergebnisse ein strukturales Format von Christologie entworfen werden, das die erw?hnten Theologumena von ?Volk Gottes?, ?Reich Gottes? sowie ?Gericht? aufgreift und die systemische Relevanz der Heilsverhei?ung des christlichen Glaubens einzul?sen vermag.
Fazit
Erst in dieser zur klassischen Soteriologie und Inkarnationschristologie komplement?ren struktural formulierten Christologie k?nnen (1) Strukturen sowie Mechanismen der Inhumanit?t ad?quat erkannt sowie theologisch als ?widerg?ttlich? qualifiziert werden und kann (2) die Relevanz christlicher Theologie für eine (besonders auch sozio?konomische) Humanisierung von Welt und Mensch plausibilisiert werden.
Literatur
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