Schadensaufnahmen des Zweiten Weltkriegs (DFG)

Inhaltliche Skizze und Ziele

Weltweit wurden in den meisten St?dten, die vom Zweiten Weltkrieg betroffen waren, Schadenskarten angefertigt. Dokumente der Schadensbewertung sind ein bisher wenig erforschter historischer Quellenbestand. Wie erste Forschungsergebnisse für deutsche St?dte zeigen, diente die Evaluierung des Baubestandes h?ufig als Entscheidungsgrundlage zum Umgang mit Ruinen und Trümmergrundstücken. Diese Quellen sind also Dokumente für die st?dtebauliche Kriegsbew?ltigung und dafür, wie die Stadt die Zukunftsf?higkeit ihrer Geb?ude, Stra?en oder Freir?ume einsch?tzte. In vielen St?dten ging die Schadensbewertung einher mit einer Neubewertung des Denkmalbestandes.

Das DFG-Projekt ?Kriegsschadensaufnahme des Zweiten Weltkriegs als Heritage-Making Moment“ erfasst die Archivalien, in denen Kriegssch?den gelistet und bewertet werden, für acht St?dte in Deutschland und Mitteleuropa. Das Projekt ist auf einen internationalen Vergleich ausgelegt und arbeitet in enger Kooperation mit dem Fachbereich Heritage Conservation der Universit?t Carleton/Ottawa. Ziel ist eine systematische Sammlung von Schadenskarten in digitaler Form, die wissenschaftlich erschlossen und der Forschungswelt zug?nglich gemacht werden. Die Plattform wardamageatlas.org ver?ffentlicht diese Daten.

Forschungsdesign

Die Stadtarchive in betroffenen St?dten verwahren Karten und Listen, die Kriegssch?den oder Geb?udebewertungen verzeichneten, oft in getrennten Best?nden. Diese Dokumente werden systematisch recherchiert und miteinander in Verbindung gebracht. Oft k?nnen fehlende Kartenlegenden so erst entdeckt werden – der Inhalt der Karte wird lesbar. Au?er lokalen Kartenbest?nden gibt es einen Gesamtbestand von Schadenskarten für St?dte in der Einflusssph?re des Deutschen Reichs, der als Vergleichsquelle dient: Der ?Arbeitsstab Wiederaufbauplanung zerst?rter St?dte“ sammelte beim Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion bereits w?hrend des Kriegs Schadenskarten (Nachlass Konstanty Gutschow: Staatsarchiv Hamburg und Carleton University Archives).

Erste Ergebnisse

Bereits kurz nach Projektstart wurde deutlich, dass in deutschen St?dten viel mehr Exemplare und vielf?ltigere Schadenskarten angefertigt wurden, als bisher bekannt war. Ihre Funktionen reichte von der Vorbereitung von Entsch?digungszahlungen über die Nutzung als Planungsgrundlagen für den St?dtebau und die Darstellung von Denkmalwerten bis hin zur konkreten Organisation der Trümmerr?umung in einzelnen Grundstücken. H?ufig enthielten Karten sogar 3D-Informationen, die z.B. über die Anzahl von intakten Stockwerken eines Geb?udes Auskunft geben. Publiziert wurden hingegen fast immer vereinfachte Karten, die zu verkürzten Aussagen kamen.

Nutzung der Ergebnisse

Das Studium der Schadenskarten erm?glicht uns, den Aufbau nicht nur als Reaktion auf Zerst?rung, sondern als Resultat eigener Entscheidungs- und Gestaltungsleistungen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration zu lesen. Es l?sst einen reflektierten Blick auf das Erbe des Wiederaufbaus zu und liefert eine bisher fehlende Grundlage, um diese Bauepoche würdigen und kritisch analysieren zu k?nnen.

Im Zeitalter von Satelliten- und Drohnenbildern kann eine vergleichende Typologie und Kritik existierender Schadenskarten als Hintergrundinformation für die Erstellung von Werte- und Schadenskarten in aktuellen Katastrophen- und Kriegsf?llen dienen.

Projekterweiterung Nürnberger Schadenskarten

Ende 2019 konnte das Hauptprojekt auf Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft um einen Projektschwerpunkt zu Nürnberger Schadenskarten und das Team um eine zweite Mitarbeiterstelle erweitert werden. Grund dieser Ausweitung war, dass sich im Stadtarchiv Nürnberg ein au?ergew?hnlicher Bestand an Schadenskarten findet, die die Auswirkungen des Krieges auf das Nürnberger Stadtgebiet und die frühen Aufbauma?nahmen visualisieren oder bewerten. Das Stadtarchiv verzeichnet über 120 Kartendokumente, die in mindestens 15 verschiedene Kartentypen systematisiert werden konnten. Vielfalt und Gr??e dieses Bestands sind bisher in Deutschland ohne Vergleich.

Neben der Breite des Bestandes besteht die Besonderheit der Nürnberger Schadenskarten darin, dass sie direkt mit der Wiederaufbauplanung in Verbindung gebracht werden k?nnen. Ihre Erforschung wird Zusammenh?nge zwischen der Dokumentation der Kriegssch?den und dem Wiederaufbau der Altstadt aufzeigen. Bestandteil der Auslobungsunterlagen für den Wiederaufbauwettbewerb für die Nürnberger Altstadt von 1947 war ein eigens gedruckter Schadensplan. Architekten, die am Wettbewerb teilnahmen, zeichneten ihre Entwürfe direkt in den Schadensplan hinein.

Wegweisend für Wiederaufbau Nürnbergs war, neben der Schadensanalyse und der entsprechenden Kartierung, auch der Wunsch, erhaltene historische Bauten und Stra?enzüge in die Neugestaltung miteinzubeziehen. Noch w?hrend des Zweiten Weltkrieges wurden s?mtliche historische Geb?ude in einer Wertstufenkarte klassifiziert - eine Bewertung des Baubestandes, auf die in der Wiederaufbauplanung nachweislich zurückgegriffen wurde. Für die heutige Forschung stellt diese Wertstufenkarte eine wichtige Quelle dar, die in diesem Forschungsprojekt erg?nzend hinzugezogen werden muss.

Anhand der Schadens- und Wertekarten zur Nürnberger Altstadt l?sst sich also die Wechselwirkung zwischen Kartieren und Wiederaufbauplanung gut studieren.

Die Universit?t Bamberg kooperiert mit dem Stadtarchiv Nürnberg zur Erforschung und Beschreibung des wertvollen Nürnberger Schadenskartenbestands.

 

Weitere Informationen

? Symposium "Erbe in Trümmern"(618.5 KB, 2 Seiten) (Bamberg, 20. Mai 2021)

? Kriegsschadensatlas / War Damage Atlas

? Ergebnisse des internationalen Symposiums: Narrating a New World. Maps, Myths, and Legends in Early Postwar Europe (Berlin, 23. Oktober 2019)(165.4 KB, 7 Seiten)

? Carleton University, Ottawa (Kanada)Prof. Dr. Jerzy El?anowski

? Weiterer Kooperationspartner: Centre for Historical Research in Berlin of the Polish Academy of Sciences (CBH)

Forschungsgeleitete Lehre

 ? Seminar ?Ruinen und urbanes Kulturerbe: Stadtkartierung in Nürnberg 1940-1950“ (Dozentin: Dr.Ing. Carmen M. Enss) – Wintersemester 2019/20

 

Durchgeführte Tagungen

Symposium: Erbe in Trümmern. Schadensbild, Transformation und Heritage Making in kriegszerst?rten St?dten um 1945, 20. Mai 2021, 9:00-13:00, Online-Veranstaltung u?ber Zoom.

Publikationen

Bücher

Enss, Carmen M. / Knauer, Birgit (Hg.): Atlas Kriegsschadenskarten Deutschland, Erwartet für Dezember 2022 bei Birkh?user.

Enss, Carmen M. / Sedlmeyer, Georg-Felix (Hg.): Ruinen und Urbanes Kulturerbe. Stadtkartierung in Nürnberg 1942 – 1952. Ergebnisse aus dem Profilierungsseminar des Masterstudiengangs Heritage Conservation, Otto-Friedrich-Universit?t Bamberg 2020 (DOI: https://doi.org/10.20378/irb-47932).

Aufs?tze

Enss, Carmen M.: Erbeprozesse bei den Aufbauplanungen für St?dte in den 1940er Jahren: Schadensaufnahmen, Inventarisation, Aufbau, in: Forum Stadt, Vierteljahreszeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie, Denkmalpflege und Stadtentwirklung, 49. Jg., 1/2022, S. 51–62.

Knauer, Birgit / Enss, Carmen M.: Wiederaufbauplanung und Heritage Making im kriegszerst?rten Nürnberg. Historische Stadtkarten als Quelle der Stadtforschung, in: Moderne Stadtgeschichte, Heft 1, 2022, S. 133-160.

Enss, Carmen M.: Denkmalorte in Karten visualisiert. Graphische Verhandlungen st?dtischen Erbes gestern und heute, in: Blokker, Johanna; Enss, Carmen M.; Herold, Stephanie: Politiken des Erbens in urbanen R?umen, Bielefeld 2021, S. 163-177.

Enss, Carmen M. / Stein, Klaus / Sedlmeyer, Georg-Felix: Organizing disaster: Interpretating and categorizing thematic maps of war-damaged cities from the 1940s, Spatial Humanities 2022 (DOI: https://doi.org/10.5281/zenodo.6810998).

Sedlmeyer, Georg-Felix: Sperrzone Heimat. Bausperren für den Wiederaufbau am Ende des Zweiten Weltkriegs, in: Blokker, Johanna / Enss, Carmen M. / Herold, Stefanie (Hg.): Politiken des Erbens in urbanen R?umen, Bielefeld 2021, S. 179-190.

Sedlmeyer, Georg-Felix: Das D?litzer Schl?sschen–Geschichte und Narrativ, in: Habeck, Joachim Otto. / Schmitz, Frank (Hg.): Ruinen und vergessene Orte. Materialit?t im Verfall – Nachnutzungen – Umdeutungen, Bielefeld 2023, S. 227-242.