Ein Kenner des literarischen Lebens
Er hat schon Literaturfestivals mitorganisiert und schreibt eine Kulturgeschichte der Popmusik: Dr. Christoph Jürgensen ist seit dem 1. September 2019 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Literaturvermittlung an der Universit?t Bamberg. Zuvor arbeitete der Germanist mehrere Jahre an der Bergischen Universit?t Wuppertal. Was er sich für seine Zeit in Bamberg vorgenommen hat, schildert der gebürtige Hamburger im Interview.
Zu welchen Themen forschen Sie?
Christoph Jürgensen: Mich interessiert vor allem Literatur als sozialer Gesamtzusammenhang. Ich besch?ftige mich nicht nur mit literarischen Texten, wie das Literaturwissenschaftler eigentlich tun, sondern mit allem, was um die Texte herum passiert: Was Autorinnen und Autoren machen, welche Bilder sie von sich entwerfen, wie sie in der ?ffentlichkeit auftreten, wie sie rezipiert werden.
Gibt es ein aktuelles Forschungsprojekt, das Sie kurz vorstellen m?chten?
Jenseits von den g?ngigen B?nden über Klassische Moderne oder Gegenwartslyrik arbeite ich gerade mit einem G?ttinger Freund und Kollegen, Prof. Dr. Gerhard Kaiser, an einer Kulturgeschichte der Popmusik. Das ist mein Herzensprojekt, kann man sagen.
Worum geht es dabei?
Wir schreiben eine Kulturgeschichte der Popmusik von 1954 bis 2020. ?Kulturgeschichte“ hei?t es deshalb, weil wir uns nicht nur mit den Popstars, Platten und Singles besch?ftigen, sondern auch mit den Medienrevolutionen, die damit zusammenh?ngen. Es wird auch um die Einführung der Schallplatte oder der CD gehen. Wir reflektieren die Funktion von Napster und Spotify. Unsere Grundidee ist, dass 1954 mit Elvis Presley ein bestimmter Typus von Pop-spezifischen Akteuren zum ersten Mal singt und dass dieser Typus jetzt in eine Endzeit ger?t. Es ist ein sehr anspruchsvolles Buchprojekt, an dem wir gerade anfangen zu arbeiten.
Sie haben auch schon die Literatur Biennale Wuppertal mitorganisiert. Wie h?ngt das mit Ihrer wissenschaftlichen T?tigkeit zusammen?
Die Literatur Biennale ist ein relativ neues Literaturfestival, das mittlerweile alle zwei Jahre in Wuppertal stattfindet. Ich habe mitgemacht, weil ich mich mit Gegenwartsliteratur besch?ftige und relativ viele Autorinnen und Autoren kenne. Das hat dazu geführt, dass ich das Festival von der Themenfindung über die Autoreneinladung bis zur Moderation mitorganisiert habe. Ich schreibe nicht nur Aufs?tze und Bücher, sondern kenne auch das literarische Leben – das ist ein Grund, warum ich die Professur in Bamberg erhalten habe.
Was ist Ihr Selbstverst?ndnis als Professor?
Ich denke, dass ich nur ein Selbstverst?ndnis als Literaturwissenschaftler habe, das statusunabh?ngig funktioniert. Tats?chlich glaube ich, dass wir an der gesellschaftlichen Sinnbildung mitarbeiten: Einerseits, indem wir kulturelle Artefakte erforschen. Andererseits geh?rt zu meinem Selbstverst?ndnis, dass wir das Erarbeitete so weit wie m?glich nach au?en kommunizieren. Wir besch?ftigen uns mit Kultur, die von Menschen rezipiert wird. Und Popmusik ist derzeit die meistrezipierte Kunstform. Mein Arbeitsverst?ndnis ?ndert sich als Professor nicht, ich habe jetzt nur Personalverantwortung. Ich hoffe, dass ich Studierende in dieser Rolle st?rker f?rdern kann.
Geht es Ihnen auch in der Lehre darum, Studierende zu f?rdern?
Mir ist wichtig, dass die Studentinnen und Studenten begreifen, was sie mit ihrer Lebenszeit machen. Dass sie ihr Studium nicht als Pflicht, sondern als Privileg begreifen. Wir dürfen uns in geschützten R?umen zusammensetzen und über Literatur sprechen. Letztendlich müssen wir in den wenigen Lehrveranstaltungen etwas vermitteln, das über die Inhalte hinausgeht: Perspektiven, Methoden, aber auch ein grunds?tzliches Erkenntnisinteresse. In Seminaren m?chte ich in erster Linie für Literatur begeistern. Das klingt so kitschig, aber wenn es keinen Spa? macht, dann sollte man es lassen.
Welche Ziele in Lehre und Forschung haben Sie sich für die n?chsten Jahre vorgenommen?
Zu meinen Zielen geh?rt zu begreifen, dass ich nicht mehr in der Qualifikationsphase bin. Es ist ein unglaubliches Privileg, dass ich in dem Beruf, den ich aus guten Gründen erlernt habe, weiterarbeiten darf – so lange ich m?chte. Und ich m?chte Forschung und Lehre betreiben, die mir am Herzen liegen und die ich sinnvoll finde. Au?erdem m?chte ich die Stelle auf eine würdige Weise ausfüllen. Es gibt so wenige Professuren und so viele andere, die sie genauso verdient h?tten wie ich. Wenn man eine solche Stelle bekommt, dann muss man sich ihrer zumindest würdig erweisen.
Vielen Dank für das Interview!
Weitere Informationen über Christoph Jürgensen finden Sie auf der Germanistik-Webseite.