Die Reisenotizbücher Heinrich Dressels aus den Jahren 1874–1876 und 1878

Als die Arbeiten am CIL im Jahr 1853 aufgenommen wurden, hatte Theodor Mommsen eine klare Vorstellung davon, wie das inschriftliche Material gesammelt, verifiziert und ediert werden sollte. Ein zentraler Punkt dabei war, dass ?alle Kritik ohne Zurückgehen auf die letzten Quellen Stückwerk ist“ und er verlangte von jedem Herausgeber, dass er ?die Hauptfundorte der lateinischen Inschriften pers?nlich besuche“. In Vorbereitung für den Druck der CIL-B?nde IX und X fiel es Heinrich Dressel, einem ehemaligen Schüler Mommsens und sp?teren Mitarbeiter am CIL, zu, die Gebiete ?stlich und süd?stlich von Rom bis zur Adria zu bereisen und die dort erhaltenen Inschriften durch Autopsie zu untersuchen. Im Vorwort zum CIL-Band IX würdigt Mommsen Dressels Arbeit mit folgenden Worten: ?Den bei weitem gr??ten Teil dieser Arbeit (sprich: die Autopsie am Original) übernahm Heinrich Dressel durch die schwierigsten und fruchtbarsten Reisen durch das gesamte Gebiet der Hirpini, der Samniten und der Apruti, dessen Arbeit nicht weniger treu wie tapfer und nicht weniger tapfer war als sachkundig“. Heinrich Dressel führte auf seinen Reisen Notizbücher, in denen er fast 2.000 Inschriften dokumentierte. Diese Reisenotizbücher sind 2022 an der Arbeitsstelle des CIL wiederentdeckt worden und bieten einen umfassenden Einblick in die Arbeitsweise seiner Zeit: Dressel notiert den Aufnahmeort, gibt das Material des Inschriftentr?gers an, ordnet die Buchstabenart und -qualit?t ein und vermerkt Besonderheiten. Zu einer Vielzahl von Inschriften hat er zudem eine Skizze angefertigt. Ein Abgleich von Dressels Tagebüchern mit den gedruckten CIL-B?nden zeigt jedoch Unterschiede, z. B. bewusst in Kauf genommene Reduktionen der vorhandenen Informationen zu einer Inschrift, sodass am Ende kaum mehr als deren Text abgedruckt wurde. Im Fokus der Untersuchung stehen die Inschriften im Original, ihre Dokumentation in Dressels Reisenotizbüchern sowie ihre Publikation im CIL inklusive der weiteren, den Druck vorbereitenden Informationen, die heute als Archivalien in der Arbeitsstelle des CIL liegen. ?bergeordnet geht es um die Frage, wie die lateinische Epigraphik im 19. Jh. definiert wurde und sie sich seither entwickelt hat. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Frage nach dem Verh?ltnis von Text und Monument und dem Anteil der Arch?ologie in der Epigraphik.