Blasphemische Kunst?

Domkapitular Dr. Jürgen Lenssen referiert beim Theologischen Forum 2013/2014

Zur vierten Abendveranstaltung des ?Theologischen Forums? im Wintersemester 2013/2014 unter dem Titel ?L?cherlicher Glaube?? konnte das Institut für Katholische Theologie den Direktor des ?Museums am Dom? (Würzburg) Domkapitular Dr. Jürgen Lenssen begrü?en. Der Kunstexperte stellte unter dem Titel ?Blasphemische Kunst?? seine ?berlegungen zur Frage nach der Gottesl?sterung in vor allem moderner Kunst vor.

Mit einer Reihe von Fragen regte Lenssen zun?chst zum Nachdenken über den Zusammenhang und das Zusammenspiel von Blasphemie und Kunst an: Kann Kunst Grenzen überschreiten? Darf oder muss Kunst gar Grenzen überschreiten? Bildet die Blasphemie eine Grenze der Kunst oder kann Kunst überhaupt blasphemisch sein? Und was hat das eigentlich alles mit der (eigenen) Religion zu tun?

Um den Zusammenhang von Blasphemie und Kunst kl?ren zu k?nnen, erl?uterte Lenssen zun?chst den Kunstbegriff. Kunst, so der Referent, l?sst nicht kategorisieren oder in unterschiedliche Unterklassen einteilen wie etwa in ?sakrale Kunst“, ?weibliche Kunst“ oder ?christliche Kunst“, sondern steht immer für sich. Kunst ist ?nur“ Kunst. Jedoch kann Kunst unterschiedliche Empfindungen in ihren Betrachtern wecken. So kann eine der geweckten Empfindungen die der Blasphemie sein. Dies l?sst wiederum rückschlie?en, dass sich, so die These Lenssens, Blasphemie allein im Kopf des Betrachters abspielt, nicht im Kunstwerk selbst. Geweckt wird die Empfindung der Blasphemie dann, wenn das Kunstwerk nicht den Erwartungen und den Bildvorstellungen des Betrachters entspricht.

Aber sind pers?nliche Gefühle und Bildvorstellungen normative Gr??en, die die Kunst einschr?nken k?nnen? Wiegen die Gefühle Einzelner und auch die Gefühle einer Mehrzahl von Einzelnen st?rker als die künstlerische Freiheit? Laut Lenssen tun sie das nicht. Vielmehr soll sich der Betrachtende auf das Kunstwerk, den Künstler und dessen Intention einlassen. Nur so wird auch in Zukunft die Vielf?ltigkeit und Autonomie der Kunst gewahrt werden.

Vielf?ltigkeit der Kunst hei?t auch, dass Kunst nicht nur Sch?nes und Friedvolles, sondern auch Provozierendes und Unsch?nes thematisiert. Nur durch Provokation und durch das Sprengen der Vorstellungen einer Gesellschaft ist eine Weitung des menschlichen Blickwinkels m?glich. Im Gegensatz dazu führt eine –  im religi?sen Kontext gesprochen – durch Wertevorstellungen eingegrenzte Kunst  zur Instrumentalisierung und Festschreibung Gottes oder zumindest des Gottesbegriffs.

Lenssen erinnerte daran, dass Jesus selbst von seinem Umfeld eine blasphemische Lebensführung vorgeworfen wurde, welche ihm damals den Tod einbrachte. Heutigen Menschen zeigt dies, dass als blasphemisch empfundene Worte und Taten zum Ausbruch aus der Verkrustung und Einengung einer Gesellschaft helfen k?nnen. Sucht man in der heutigen Zeit solche Aus-, Auf- und Umbrüche, st??t man unumg?nglich auf die Kunst. Als blasphemisch betitelte Werke wie ?Zuerst die Fü?e“ von Martin Kippenberger, ?Nur ein Mensch“ von Willi Sitte, ?Lachender Christus“ von Herbert Falken und ?Schüttbild“ von Hermann Nitsch beinhalten im Grunde weniger religionsverspottende Elemente, als vielmehr existenzielle Anfragen an den Menschen auch bezüglich seiner Religion. Oberfl?chlich werden solchen Werken jedoch schnell blasphemische Inhalte unterstellt, da sie sich einerseits von allgemein vertretenen Bildvorstellungen und Bildwelten l?sen, andererseits viele Betrachter aber vorgefertigte Vorstellungen haben, die mit der im Kunstwerk dargestellten Wahrheit kollidieren. Nach Lenssen ist es Vielen nicht m?glich, sich von diesen Vorstellungen zu l?sen, aus Angst vor der Kunst, vor der Gegenwart, aus Angst vor dem ?sich selbst Stellen“. Dabei ist, wie beispielsweise in Grosz Werk ?Maul halten und weiter dienen“, das, was als Blasphemie bezeichnet wird, oftmals der Einsatz eines Menschen (des Künstlers) für den Menschen und die Menschlichkeit. Dennoch werden solche Werke der Blasphemie bezichtigt, da durch selbige ein Jesus- oder Gottesbild zerst?rt werden. Doch diese Bilder sind, darauf wies Lenssen hin, solche, die dich der Mensch selbst schafft, etwa von Jesus, dessen wirkliches Bild ein Geheimnis ist. Anstelle von phantasievollen bildlichen Darstellungen ist abstraktes Denken gefordert. Nur so kann der irre lachende Jesus am Kreuz von Herbert Falken oder der nackte Jesus  von Volker Stelzmann ernsthaft wahr- und angenommen werden. Und nur so kann Jesus in seiner Menschlichkeit wahr- und angenommen werden.

Lenssen machte abschlie?end deutlich, was er für eigentlich blasphemisch im Raum der Kunst h?lt: Allein im Kitsch, in der Darstellung eines braven, lieblichen, zahmen Jesus oder Gottes, in der künstlichen Verlogenheit, da liegt werkeigene Blasphemie vor. Da n?mlich, wo Glaube und Heil von einem Bild abh?ngig gemacht und sowohl Religion als auch der Mensch in ihrer Freiheit eingeschr?nkt werden wollen.

Hinweis

Diesen Text verfasste Judith Balling. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.