Die Bedeutung von Geboten im Christentum und Judentum

Start des Theologischen Forums 2019/20

Das Theologische Forum widmet sich im Wintersemester 2019/20 der Frage, was denn eigentlich ?typisch jüdisch? und was ?typisch christlich? ist oder sein soll?  Jenseits latenter Vorurteile und blo?er Klischees sollen Judentum und Christentum ins Gespr?ch gebracht werden und ein kritischer Blick auf die eigene Religionskultur und auf die der anderen erm?glicht werden. Referentinnen und Referenten aus verschiedenen Fachrichtungen und gesellschaftlichen Kontexten beleuchten im Verlauf des Wintersemesters unterschiedliche Aspekte des Verh?ltnisses von Judentum und Christentum.

Beschmierte Grabsteine auf jüdischen Friedh?fen, ein wachsender Antisemitismus, Solidarit?tsaktionen mit der Kippa, ein nur knapp gescheiterter Angriff auf eine Synagoge in Halle – wer gedacht hatte, dass das alles in Deutschland nach dem Ende des Nationalsozialismus nicht mehr m?glich sei, der sieht sich get?uscht. Ganz im Gegenteil: Aktuell wird intensiv darüber diskutiert, ob Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland noch sicher sind und ob die im Grundgesetz verbriefte Religionsfreiheit für Juden wohlm?glich nur auf dem Papier gilt.

Der Neutestamentler Prof. Dr. Joachim Kügler von der Universit?t Bamberg er?ffnete am 17. Oktober 2019 das Theologische Forum im Wintersemester 2019/2020 mit dem Vortrag ?Die Bedeutung von Geboten im Christentum und Judentum?.

Seine zentrale These: Die g?ngigen Verst?ndnisse des Judentums als ?Gesetzesreligion‘ und des Christentums als ?Religion der Freiheit‘ sind Klischees und haben mit der Realit?t der beiden Religionen wenig zu tun. Weder kann der jüdische Glaube allein auf die Moral und das Einhalten von Geboten zurückgeführt werden, noch ist der christliche Glaube einer, der auf sittliche Regeln verzichtet, weil allein der Glaube genügt.

Religionsph?nomenologisch wies Kügler darauf hin, dass es keine Religion ohne Gebote, ohne Normen, ohne eine im Wesentlichen konsistente Moral geben kann. Sonst h?tte diese Religion keine alltagspraktische Relevanz und würde sich hinsichtlich der Lebensgestaltung selbst überflüssig machen. Wohl aber differieren Religionen hinsichtlich der Rolle, Breite und Tiefe des Gebotenen. Zugleich aber, so Kügler, l?sst sich auch keine Religion ohne ein Mindestma? an Freiheit denken, wenn sie nicht ins Sektiererische abgleiten wolle.

Anhand einiger zentrale Texte aus dem Alten und Neuen Testament verdeutlichte der Neutestamentler, welche unterschiedlichen Funktionen Normen im religi?sen Kontext einnehmen. Religi?se Gebote dienen unter anderen für die Exklusion bzw. Inklusion. Sie machen deutlich, wer ?zu uns‘ geh?rt und wer ?zu den anderen‘ zu rechnen ist. Kurz: Sie besitzen identit?tsstiftende und identit?tsmarkierende Funktion. Zudem helfen sie, den Glauben selbst zu stabilisieren, vor vermeintlich sch?dlichen Einflüssen zu schützen und ihn so ?rein‘ zu halten. Schlie?lich dienen religi?se Normen auch dazu, Glaubende von Nicht-Glaubenden zu unterscheiden: Wer glaubt, hat die Kraft, den Geboten Genüge zu tun – wer nicht glaubt, scheitert an dieser Aufgabe.

Mit der Auswahl der Texte konnte Kügler deutlich machen, dass diese zentralen Aspekte religi?ser Gebote für Judentum wie Christentum gelten. Klischeehafte Zuschreibungen wie ?Gesetzesreligion‘ oder ?Religion der Freiheit‘ konnten in dem Vortrag anhand ihrer grundlegenden Texte destruiert werden.

Hinweis

Diesen Text verfasste Prof. Dr. Thomas Wei?er (Laubach). Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.