Reformationsjubil?um und Religionsdialog

Der vorletzte Gast in der Vortragsreihe ?Theologisches Forum“ war so prominent, dass am 15. Januar 2015 fast kein Platz im H?rsaal leer blieb: Margot K??mann. An diesem Abend wurde klar, dass der Volksmund durchaus irren kann: ?Protestanten gehen zum Lachen in den Keller“ wurde heute Abend ganz klar falsifiziert. Die von Prof. Dr. Thomas Wei?er begrü?te, wohl bekannteste deutsche evangelische Theologin brachte so viel Sprachwitz und Redegewandtheit mit, dass ihr die Zuh?rerinnen und Zuh?rer von der ersten bis zur letzten Minute gebannt lauschte.

Die Reformation als 500 Jahre gelebte Spaltung – ist das ein Grund zum Feiern? Auch die Person Luthers birgt durchaus Schattenseiten, seinen Antijudaismus würde heute kaum jemand bestreiten. Es stellt sich unweigerlich die Frage: Darf man bzw. dürfen die Protestanten das überhaupt feiern? K??mann als Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubil?um 2017 gab als Antwort darauf ein klares und deutliches ?Ja!“, untermauert in einer Art protestantischen 10-Punkte Plan, den sie in ihren Darlegungen ausführte.

Gefeiert werden sollte zu allererst die Gelegenheit zur Selbstkritik. Es ist wichtig, sich mit den eigenen kirchengeschichtlichen Wurzeln kritisch auseinanderzusetzen. Dass das Jubil?um auf einen Lutherkult hinausl?uft, h?lt die Referentin für unwahrscheinlich – schlie?lich war die Reformation eine breite Bewegung.

Daran anschlie?end stellte K??mann den Dialog der Religionen in den Vordergrund. 2017 wird das erste gro?e Reformationsjubil?um nach der Schoa sein. Luthers christliche Judenfeindlichkeit wurde von der nationalsozialistischen Propaganda verwendet. Die evangelische Kirche muss sich mit dem eigenen Versagen dieser dunklen Zeit auseinandersetzen – war es doch nicht die Kirche als Institution, welche sich schützend vor Juden stellte, sondern nur Einzelpersonen. Aus dieser schmerzhaften Geschichtsaufarbeitung schloss die Protestantin ihre katholischen Mitchristen nicht aus.

Auf das Thema Dialog folgte als n?chster Aspekt: die Sprachf?higkeit in einer s?kularen Welt. Der gro?e Verdienst Luthers bestand unter anderen darin, dass er in der Lage war ?den Menschen aufs Maul zu schauen“. Damit leistete er nicht nur einen gro?en Beitrag zur deutschen Sprache und Kultur und setzte die Schrift als Ma?stab des Glaubens – es erm?glichte auch dass Gl?ubige gemeinsam vom Glauben reden konnten. Deshalb sollte es auch eine zukünftige Herausforderung der Kirchen sein, gemeinsam an die Sprachkraft Luthers anzuknüpfen und den Glauben im s?kularen Raum Platz greifen zu lassen.

In einem vierten Punkt standen die Frauen im Zentrum. K??mann machte unmissverst?ndlich klar, dass die Ordination von Frauen keine Anpassung an den Zeitgeist ist, sondern sich direkt aus Luthers Taufverst?ndnis ableitet. Jeder – und somit auch jede Getaufte ist ein Kind Gottes und kann deshalb zum Priester oder zur Priesterin, Bischof oder Bisch?fin aufsteigen. Infolgedessen kann man im Zuge des Reformationsjubil?ums feiern, dass sich die Rolle der Frau verbessert hat – hier sieht K??mann im Bezug auf die katholischen Glaubensgeschwister durchaus noch Verbesserungspotential.

Einen fünften Punkt begreift Margot K??mann in der ?berwindung von Spaltung. Als Ansatzpunkt dient: ?Was machen die anderen besser?“ Anerkennend bezog sich die Theologin auf die erfolgreiche Bewahrung der Einheit der katholischen Kirche als Weltkirche. Davon k?nnten sich die protestantischen Kirchen durchaus ein Stück abschneiden. Eine ?berwindung von Spaltung sieht K??mann aber auch auf protestantischer Seite beispielweise im Bezug auf die Frauenordination und die jüngst vollzogene Gleichbehandlung im Umgang mit homosexuellen Pfarrern und Pfarrerinnen.

Hoch aktuell im heutigen Deutschland, wo Bildung stark von der sozialen Herkunft abh?ngig ist, erscheint der sechste Punkt: Luthers Streben nach Bildungsgerechtigkeit. Auch und gerade in der Gegenwart ist es wichtig mitzudenken und zu hinterfragen, denn so kann einem Fundamentalismus etwas entgegengesetzt werden.

Ein weiterer Grund zum Feiern bietet die Freiheit. Die klare Trennung zwischen Kirche und Staat ist eine gute Freiheit. Trotzdem darf sich die Kirche nicht in den Privatbereich abdr?ngen lassen. Luther verwies darauf, dass ein Mensch sich auch in ein soziales Gefüge einbringen muss. Auch hier nahm K??mann den Punkt der kritischen Auseinandersetzung auf, indem sie darauf verwies dass die Kirche ein Ort ist, in der freie Rede m?glich sein sollte.

Als Achtes trat ein sehr lebensnaher Aspekt auf: Wir leben in einer gnadenlosen Erfolgsgesellschaft, diese kann allerdings durch Religion Kompensation erfahren. Es gibt tausende Suizide, Essst?rungen, welche auch aus bedenklichen Rollenvorbildern wie ?Germanys next Topmodel“ gespeist werden, und verzweifelnde Arbeitssuchende. Menschen sollen durch ihren Glauben erfahren k?nnen, dass ihr Leben einen Sinn macht.

Vom Pers?nlichen auf die Weltebene: Im vorletzten Punkt bezog sich K??mann auf die Globalisierung: schlie?lich wird auch in Afrika, Asien oder Lateinamerika das Reformationsjubil?um  gefeiert. Zwar war die Reformation in erster Linie ein Binnenereignis, dieses nahm aber im Laufe der Zeit globale Ausma?e an.

Zum Abschluss bezog K??mann schlie?lich Stellung zu der ?kumene. Es war nie Luthers Ansinnen, die Kirche zu spalten. Die gemeinsame Erkl?rung zur Rechtfertigungslehre von protestantischer und katholischer Kirche war daher ein Durchbruch für den interkonfessionellen Dialog. Dieser bekam allerding durch das Dokument ?Dominus Jesus“ und den daraus folgenden aggressiven und unvers?hnlichen Antworten von evangelischer Seite einen herben Rückschlag. Anderen Konfessionen ihr Kirche-Sein abzusprechen sei durchaus ein Mittel, um die dialogische Tür wieder zuzuschlagen.

Hier zeigte sich auch einer der Schwerpunkte von K??manns Vortrag: In Zeiten, in welchen gefordert wird, die Religion auf den privaten Rahmen zu beschr?nken, sitzen die Gl?ubigen im selben Boot. Es ist wichtig in der heutigen pluralen Gesellschaft als Menschen des Glaubens füreinander einzustehen. Die Theologin verwies auf die Situation in Europa, auf die Werte von Freiheit, Aufkl?rung und der gegenseitigen Wertsch?tzung unterschiedlicher Konfessionen. Auf der einen Seite stehen die Differenzen, welche auch die eigene Identit?t ausmachen. Andererseits sollte man immer sehen, was von dem jeweils anderen gelernt werden kann. Die gegenseitige Bereicherung aus den Differenzen müsse erkannt werden. K??mann verlieh ihrer Hoffnung Ausdruck, dass das Luther-Jubil?um 2017 als Vers?hnungsfest gefeiert werden kann.

Nicht nur der Vortrag schlug die ca. 370 Besucherinnen und Besucher in seinen Bann, auch die anschlie?ende M?glichkeit zur Diskussion mit der Referentin wurde gerne wahrgenommen.

Hinweis

Diesen Text verfasste Carolin Fügener. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.